Diese "Reithufenstiftung",
die alle Zeitläufe überlebt hat und der heute noch ein
ehrenamtliches Reithufen-Kollatoren-Kollegium vorsteht, vergibt
durch Losziehen Ackerland an ortsansässige Bauern. Die Pachterträge
sind bestimmt für die Erhaltung kirchlicher und städtischer
Gebäude, für kulturelle Aktivitäten und mildtätige
Zwecke in der Stadt. Deshalb trägt Kroppenstedt den Beinamen "Reithufenstadt".
Eine Blütezeit erlebte Kroppenstedt im 16./17. Jahrhundert. Aus
dieser Zeit stammen die meisten Häuser. Ein mittelalterliches Kleinstadt-Ensemble
ist zwischen Eulenturm und Martinikirche erhalten geblieben, in dem sich
die Gebäude der Geistlichkeit und der ehemaligen Schulen befinden.
Im ältesten Schulgebäude hat heute das Heimatmuseum seinen
Platz gefunden.
Berühmt ist das in Europa einmalige, über vier Meter hohe Freikreuz,
das 1248 erwähnt und 1651 in Stein neu errichtet wurde. Ebenso sind
bis heute die doppelten Stadtmauern erkennbar, unterbrochen von vier
Wehrtürmen und drei Tor-Türmen. Die Stadttore wurden allerdings
1814 abgebrochen, als die von Napoleon 1806 geraubte Quadriga des Brandenburger
Tores in einer nationalen Prozession nach Berlin zurück geführt
wurde.
Das Rathaus von 1598 gegenüber dem Freikreuz enthält noch Gefängniszellen;
in einer von ihnen musste der Orgelbauer Esaias Compenius gegen seinen
Willen eine Zeitlang "logieren".
Eine wahre Fundgrube für Informationen zur Geschichte der Stadt
ist das historische Archiv im gotischen Tonnengewölbe des Rathauses.
Hier hat unter anderem die Korrespondenz zwischen dem Orgelbauer Compenius
und dem Stadtrat "überlebt", die sich über zehn Jahre
hinzog und von allerlei Vertröstungen durch den Orgelbauer bestimmt
war.
Dass der Orgelbau so lange dauerte, daran war sicherlich nicht unwesentlich
der musikliebende Herzog Heinrich Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel
beteiligt. Sein in Auftrag gegebener Orgelbau im Schloss Hessen verzögerte
den Kroppenstedter Orgelbau erheblich. Nach dem Tode des Herzogs vermachte
seine Witwe das Hessener Orgelwerk ihrem Bruder, dem dänischen König
Christian zum Geschenk. Nicht nur das bildet die Verbindung von Kroppenstedt
zum dänischen Königshaus, sondern auch die Besuche von Christian,
dem Neffen des dänischen Königs, in Kroppenstedt; das belegen
Beschreibungen von 1596 und 1617 im Stadtarchiv. Über den zweiten
Besuch vermerkt der damalige Stadtschreiber:
"Anno
1617 am 4. November hadt der Edle, Gestrenge und Ermäße
Frantz Behr, Haubtman zu Gröningen und Crottdorf, das
Landgericht Alhir gehalten. Als ehr unvermeltes Tages gar frue
noch for Tage ufm Radthause angelangett (...) allein Steffen
Saurlandt, damals Küchenher, in der Küchen ufgewartgett,
hadt der Haubtman (...) erwehnet, das ehr den Haubtman Frantze
zu Egeln zur Gaste geladen, welcher umb 10 Uhr alhir anlangen
werde. Nicht lange nach diesem ist unres gnedig Fürsten
und Herrn Mundkoch, welchen doch Niemand erkandt, In die Küchen
gangen kommen (und fragte ...) ob nicht etwa ein Mandel Öpfel
vorhanden weren, und sagten was mehr, ehr sollte dem Haubtman
ein seltzen süplein machen. Alß nun ein Erbar Radt
fast Unrecht vermercket, hat derselbe auch Forschung gethan,
was das vor eine Bedeutung möchte haben, und eigentlichen
(Grund) erfahren (...) daß der Bischof von Halberstadt
unser Gnediger Fürst und Herr (Christian), umb 10 Uhr
Zu uns Zu Gaste kommen würde. Da hat ein Erbar Radt sich
bemühett und so viel In solcher eil hat geschehen kennen
geschaffet, daß die Malzeit zubereitet worden. Der Haubtman
aber weil aber nach Zerbster bier und Wein gefragett Undt nicht
vorhanden gewesen, haben Ihr Kön. Maj(estät)wasser
trinken wollen. Und ob wol uff anregen des stolmeisters Cropp(stedter)
bier Kön. Majtt. Durch den Bürg(meister) Andreas
Thederß Im Wilkomen fürgetragen, und gebeten, Ihr
Kön. Majtt. Wollen doch einen Trunck thun, habe derselbe
ge(...) Ich Magk (...) der Jene H(ohe)Herr aber haben wol (...)
12 g(roschen)an Croppensteischen bier vertruncken, undt Ihnen
wolgeschmeckett. Dieses Ist also umb Dechniswillen an diesem
ort verzeichnet".
Christian ging schließlich als der "tolle Christian" in
die Geschichte des 30-jährigen Krieges ein, wo er für den Protestantismus
kämpfte. Er starb im Jahre 1624.
Damals war Kroppenstedt bereits protestantisch. Kirchlich hatte die Martinsgemeinde
zu Kroppenstedt bis zur 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts nur einen
Pfarrer. Die Besetzung der zweiten Pfarrstelle durch einen Diakon erfolgte
durch den Rat der Stadt. Der erste Diakonus war Cunradus Neander 1562.
Zum Zeitpunkt des Orgelbaues hatten Sebastian Bule (1600-1615) die sogenannte
Oberpfarrstelle und Bartholomäus Neumann (1600-1620) die Diakonatsstelle
inne. Um 1700 wurde die Stelle des Diakons mit dem Rektor besetzt. Heute
wird die evangelische Gemeinde Kroppenstedt, die zum Kirchenkreis Halberstadt
zählt, von einem Gemeindepädagogen geleitet.
Es besteht auch eine kleine katholische Gemeinde, die von Gröningen
aus seelsorglich betreut wird. Die evangelischen und katholischen Gottesdienste
finden in der Martinikirche statt.
Da die ehrenamtliche Organistenstelle zur Zeit nicht besetzt ist, wird
die Orgel in den Gottesdiensten durch einen "Orgamat" bespielt,
einen Orgelspiel-Automaten, der durch Disketten gesteuert wird, auf denen
Liedbegleitungen und andere Orgelstücke gespeichert sind.
Heute sind Kroppenstedt, Krottorf, Gröningen und Großalsleben
in der Verwaltungsgemeinschaft Gröningen zuammengeschlossen. In
Kroppenstedt gibt es einen ehrenamtlichen Bürgermeister.
Kroppenstedt verfügt über eine Kindertagesstätte, Grund-
und Sekundarschule, Arzt- und Zahnarztpraxen, Einkaufsmöglichkeiten,
Gaststätten und Restaurants und ein reges Vereinsleben. Im Ort sind
tätig: der Heimatverein "Die Kroppenstedter e.V.", der
Landfrauenverein "Goldene Ähre", ein Gartenbauverein,
der Sportclub 1993 (für Fußball und Gymnastik), die SV Germania
90 (für Kegeln und Gymnastik), ein Schützenverein, ein DRK-Ortsverein,
ein Kleintierzuchtverein und eine Jagdgemeinschaft.
Vor einigen Jahren ist in Zusammenarbeit zwischen Kirche und Heimatmuseum
der Gedanke entstanden, ein Buch über unsere historische Orgel herauszugeben.
Unterstützung für diese Idee kam von der Ständigen Konferenz
Mitteldeutsche Barockmusik in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen
e. V. (MBM) mit dem Sitz im Kloster Michelstein bei Blankenburg. Tatkräftige
Hilfe kam von Per Kynne Frandsen, dem Organist von Schloss Frederiksborg
bei Kopenhagen, von Orgelbaumeister Mads Kjersgaard aus Uppsala in Schweden,
der die Compenius-Orgel in Frederiksborg restauriert hat, dann von Dr.
Wolf Hobohm, dem wissenschaftlichen Leiter des Zentrums für Telemann-Pflege
und Forschung Magdeburg, und dem Organist Stefan Nusser aus Burg bei
Magdeburg. Sie haben dankenswerter Weise wertvolle Erkenntnisse zusammengetragen.
Allen sei Dank gesagt, die sich für dieses Projekt engagiert haben,
besonders dem Verfasser dieses Buches, Professor Gottfried Rehm, Fulda,
und Herrn Erco von Dietze für Vermittlung und Realisierung dieses
Vorhabens.
Kroppenstedt, im Frühsommer 2002
Joachim Willamowski, Bürgermeister
Monika Schmidt, Stadträtin für Kultur
Jürgen
Vogel, Gemeindepädagoge
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