Die Kroppenstedter Orgel aus der Sicht des Orgelbauers

Wenn ich an die Einweihung der Orgel in Kroppenstedt denke, kommt mir die Werbung „Nimm 2“ in den Sinn, die doppelten Genuss in unterschiedlichen Nuancen verspricht. So haben wir es hier auch im übertragenen Sinn mit einem besonderen „Bonbon“ der Orgelbaukunst verschiedener Epochen „in einer Tüte“ zu tun. Wir sprechen hier von einem Orgelwerk Esaias Compenius, der von 1603 – 1613 hier in Kroppenstedt eine Orgel baute und von Adolph Reubke, der ca. 250 Jahre später also 1859 hinter diesem historischen Gehäuse eine zeitgemäße neue Orgel baute. Das Besondere dieser Orgel von Reubke liegt nicht nur in ihrer eigenen Klangschönheit begründet, sondern in der Tatsache, dass Reubke aus der Compenius-Orgel vier Register weiter verwendete, die zwar klanglich verändert, aber dennoch in ihrer grundlegenden Substanz erhalten geblieben sind. Für den Kenner von Orgelpfeifen eine einmalige „Delikatesse“, denn diese Pfeifen sind in ihrer baulichen Qualität von besonders hohem Rang. Welche Gründe Reubke hatte, gerade diese Register in seiner Orgel weiter zu verwenden, bleibt ein Geheimnis und gibt bestenfalls Anlass zu Spekulationen: Vielleicht stellte neben einer Kostenersparnis die Wiederverwendung dieser Register eine Wertschätzung E. Compenius durch Reubke dar. Möglicherweise gab es aber auch in Kroppenstedt einen Organisten, der seine alte Orgel liebte und dem man damit Genüge tat. Als ich vor ca. 30 Jahren die erste Begegnung mit der Kroppenstedter Orgel hatte, fehlten bereits die originalen Prospektpfeifen von Compenius. Sie wurden im Rahmen einer staatlich angeordneten Abgabeverpflichtung 1917 für kriegswichtige Zwecke ausgebaut und eingeschmolzen. Die Orgel von Reubke wurde von fast jeder nachfolgenden Orgelbauergeneration klanglich verändert und dem jeweiligen Zeitgeschmack angepasst. Ganze Registerreihen wurden entfernt, aber die von Reubke aus der Compenius-Orgel übernommenen Register, blieben erhalten. Mit der Aufgabenstellung die Reubke-Orgel zu restaurieren, unter teilweiser Berücksichtigung des gewachsenen Bestandes, entstand der Wunsch die Prospektpfeifen wieder einzubauen, die Reubke nicht in sein Klangkonzept eingebunden hatte und die seit 1859 zum Schweigen verurteilt waren. Aber eigentlich wollte man nicht wirklich nur stumme Prospekt-pfeifen, deren Rekonstruktion und Anfertigung aus hochprozentiger Zinnlegierung sehr aufwändig ist. So wurde der Gedanke geboren nicht nur die Prospektpfeifen Principal 8‘ und Prinzipal 4‘ nach Compenius zu rekonstruieren, sondern auch die vier originalen Compenius Register aus dem Pfeifenbestand der Reubke-Orgel zu entfernen, um alle gemeinsam von einer neu zubauenden Windlade in rekonstruierter Weise zum Klingen zu bringen. Den Platz für diesen gemeinsamen Nenner (Windlade) bot das leerstehende Rückpositivgehäuse der ursprünglichen Compenius-Orgel. Nun begann für uns als beauftragte Orgelbauer eine spannende Zeit der Spurensuche. So gaben uns nicht nur die 400 Jahre alten Pfeifen von Esaias Compenius Rätsel, auf sondern die es galt auch die Lücken in der Reubke-Orgel mit Registern zufüllen, die Reubkes Klangbild entsprechen. Da es noch Reubke-Orgeln aus dieser Schaffenszeit gibt, konnten Mensuren, Bauformen und Metallanalysen mit den Reubke-Registern der Kroppenstedter Orgel verglichen, ausgewertet und schließlich in angepasster Weise angewendet werden. So war es zum Beispiel möglich, aus der Gaterslebener Orgel die durchschlagende Zunge Posaune 16‘ in Mensur und Bauart zu über-nehmen und als Kopie anzufertigen. Die von E. Compenius wiederverwendeten Register wurden von Reubke in Tonlänge, Aufschnitthöhe und durch das Entfernen der Kastenbärte stark klanglich verändert und umsortiert. So fanden wir zum Beispiel Pfeifen aus der Quintadehna 8‘ als Gedacktpfeifen in nicht originaler Tonhöhe (Pfeifenlänge) wieder. Einige Metallanalysen gaben uns Hinweise auf die Inhaltsstoffe der jeweiligen Legierungen. Als besonders schwierig erwies sich die Mensurberechnung, Bauart und Legierungsbestimmung der verlorengegangenen Compenius Prospektpfeifen des früheren Hauptwerkes (Principal 8‘) und des Rückpositives (Principal 4‘). Nach meinen Recherchen gibt es keine vergleichbaren Prospekt-pfeifen von E. Compenius. So war der Entschluss naheliegend die Prospektpfeifen aus der Gröninger Schlossorgel (heute Orgel in St. Martini Halberstadt und in der ev. Kirche in Harsleben), die David Beck 1592 – 96 baute, als Vorbild zu nehmen.
Welche Fakten sprachen dafür? E. Compenius und David Beck hatten zeitgleich eigene Orgelwerkstätten in Magdeburg. Jedenfalls haben sie sich gekannt und evtl. hat Compenius mit David Beck streckenweise zusammengearbeitet. Es gibt nach meiner Kenntnis während der Bauzeit der Gröninger Schlossorgel (1592 – 1596) keine Arbeiten von E. Compenius. Daher kann vermutet werden, dass Compenius in dieser Zeit für David Beck Arbeiten ausführte. Aus diesem Grund wählten wir die original erhaltenen Prospektpfeifen der Gröninger Schlossorgel als Bauvorlage. Nach entsprechender Metallanalyse wurden die Pfeifen nachgebaut. Dabei wurden die Pfeifenwandungen nach oben ausgedünnt und auf Tonlänge geschnitten. Die technische Anlage der Compenius-Gedenk-Orgel stellt keine Stilkopie dar, sondern entspricht praktikablen Erwägungen. So erhielt der Spieltisch direkt unter dem Rückpositiv seinen Aufstellungsplatz. Die beiden Mehrfaltenkeilbälge sind in Anlehnung und nach dem Vorbild der Balganlage der Compenius-Orgel in Frederiksborg entstanden. Sie wurden direkt unter den Windladen montiert, so dass optimale Winddruckverhältnisse für die Orgel bestehen. Nach 400 Jahren beschriebener Orgelgeschichte in Kroppenstedt ist es angemessen, die 155 Jahre alte frühromantische Reubke-Orgel in fast originaler Weise hören zu können. Ebenso wird durch den Klangkörper der Esaias-Compenius-Gedenk-Orgel in mitteltöniger Stimmung die Erinnerung an einen sehr kreativen sowie erfindungsreichen Orgelmacher und Orgelspieler der Renaissance erlebbar gemacht und wachgehalten.

Reinhard Hüfken Orgelbaumeister
(Halberstadt)
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